EIN AUFWÜHLENDES KONZERT

Böblingen

Dieses Konzert verdiente nur ein Prädikat: Weltklasse. Wie die vier exzellenten Musiker am Freitag Abend im Württemberg-Saal der Kongresshalle Schumann, Mendelssohn und Brahms umsetzten, war schlichtweg atemberaubend. Mit beträchtlicher Verve stürzten sie sich in die Werke.

Konkurrenz hat das Menuhin Festival Piano Quartet nicht zu fürchten. Das Musikleben der Kreisstadt ist also nicht provinziell, eher, wie ein Kulturschaffender einmal stöhnte, das Publikum. Denn es gab nur eine Enttäuschung: im Württemberg-Saal blieben viele Plätze frei. Dabei hätte man renommiertere Musiker für diesen Abend gar nicht verpflichten können. Die Gründe für die mäßige Resonanz? Zeitgleich fand das Sinfoniekonzert des Albert-Einstein-Gymnasiums statt. Zudem war für den Abend ein Schneechaos vorhergesagt.

Der Böblinger Klassikherbst möchte ein Internationales Kammermusikfestival sein: Am dritten Abend löste das Menuhin Festival Piano Quartet diesen Anspruch ein: Die Geigerin Nora Chastain stammt aus den USA, Silvia Simionescu, Bratsche, aus Rumänien, Troels Svane ist Däne, der Pianist Friedemann Rieger Deutscher. In Böblingen konzentrierte sich das Quartett auf deutsche Romantik.

War Schumann eigentlich Film-Komponist? Im dritten Satz seines Klavierquartetts op. 47 findet sich eine Melodie, die das Zeug zum Schlager hat und in Hollywood Karriere machen könnte, fast berührt sie den Kitsch! Man hat gleich Bilder vor Augen. Mit diesem Werk eröffnete das Quartett sein Gastspiel in Böblingen. Das Markenzeichen des Ensembles: ein satter, edler Klang. Rasanz und Präzision verbinden sich, reibungslos und inspiriert ist das Zusammenspiel. Die Musiker sitzen ganz vorn auf der Stuhlkante, als Hörer kann man sich zurücklehnen. Immer wieder fragt man sich: Sind das wirklich nur vier Musiker?

Durch alle Interpretationen geht ein großer Zug, sehr vorwärtsdrängend das Klavier, im Anschlag manchmal etwas direkt und hart. Ein tollkühnes Finale beendet das Schumann-Werk, das eine Nähe zu Mendelssohn aufweist. Dessen Klavierquartett op. 2 ist reduzierter, den typischen Mendelssohn-Ton findet man hier eher selten. Ein funkensprühendes Finale steht am Ende.

Schumann ist ein überschwänglicher Komponist, sein Freund Johannes Brahms eher ein Lakoniker. Brahms´ c-moll-Klavierquartett stand am Ende des Konzerts. Dieses Werk, zwischen 1855-1875 entstanden, komponierte Brahms, bevor er sich dem Streichquartett zuwandte, für viele Experten autobiographische Musik. Clara Schumann war davon zutiefst berührt: „Sie mag gespürt haben, dass es sich bei diesem Werk um ein Seelengemälde handelt, das intimste biographische Züge trägt und das Ringen eines Einsamen in auswegloser Situation schildert.“ (So Heinz Becker). Das ist sicher etwas pointiert formuliert, aber das Menuhin Quartet unterstrich diese Deutung durch leidenschaftliches Spiel. Es kam zu intensiven Dialogen zwischen Viola und Klavier, und im dritten Satz betörte das warme Cello. Zwei große Zugaben. Es war ein aufwühlendes, packendes Konzert.

24. November 2008
Jan Renz (Musikjournalist)
www.jan-renz.de